CHANCE
Eine Uraufführung nach dem Roman „Being there“ von Jerzy Kosinsky
 
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Collage: Claudius Strack
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  • Regie: Marta Gil Polo
  • Text: Albert Tola
  • Bühne: Annette Haunschild
  • Produktionsleitung: Andrea Tietz
  • Dramaturgie: Konrad Knieling, Mascha Wehrmann
  • Kostüme: Martin Scheibe
  • Choreografie: Antje Pfundtner
  • Video/Ton: Mathias Holländer
  • Licht: Henning Eggers
  • Bühnentechnik: Claudia Stauß
  • Regieassistenz: Julia Doan
  • Produktionsassistenz: Janine Schulz
  • Darsteller: Samantha Viana, Alexander Schröder,
    Timo Klein, Stephan Korves
  • Premiere: Mi. 10.09.08 Hamburger Sprechwerk
  • Weitere Aufführungen: Do. 11.09. - Sa. 13.09. und Mi. 17.09. bis Sa. 20.09.
  • Berliner Premiere: Di. 23.09.08 Ballhaus Ost
  • Weitere Aufführungen: Mi. 23.09. - Fr. 26.09.


Eine Produktion von Marta Gil Polo in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Sprechwerk und dem Ballhaus Ost Berlin. Realisiert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds Berlin, der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, der Rudolf Augstein Stiftung und der Rusch-Stiftung. Mit freundlicher Unterstützung der Fleetstreet Hamburg und der Theaterakademie Hamburg.


Es ist eine Geschichte über verdrängte Wünsche und Sehnsüchte und eine tiefgreifende Sinnleere in einer hochkomplexen, aber an einen Endpunkt gelangten Mediengesellschaft. Ein Punkt, an dem das Bedürfnis nach einer messianischen Führerfigur entsteht.

„Being there“ ist die Geschichte eines Mannes, der sein Leben völlig abgeschirmt im Haus eines einflussreichen Industriellen verbracht hat. Außer dem Garten, den er immer sorgfältig gepflegt hat, kennt er nichts. Kaum je wurde mit ihm gesprochen. Alles, was er über die Welt „draußen“ weiß, weiß er aus dem Fernsehen. Als der Hausherr stirbt, muss Mr.Chance, wie er erst später genannt wird, zum ersten Mal hinaus in die Welt und gerät durch einen Autounfall in gehobene gesellschaftliche Kreise, wo er innerhalb kürzester Zeit eine erstaunliche Karriere macht. Ruhe, Ehrlichkeit, eine Gartenrhetorik, hinter der irrtümlicherweise eine große wirtschaftliche Kompetenz und Menschenkenntnis vermutet wird, machen den ahnungslosen Gärtner und TV-Konsumenten, der sein Arsenal an Wertvorstellungen und Verhaltensweisen einzig aus dem Fernsehen gelernt hat, über Nacht zum Medienstar und Präsidentschaftskandidaten.


Pressestimmen

Lebende Projektionsfläche

Von Birgit Schmalmack

Wie die Natur ihn schuf, nur mit einer Unterhose bekleidet, steht Chance da. Glücklich und zufrieden genießt er die stillen Freuden eines Gärtners. Noch - denn der Nachlassverwalter seines verstorbenen Chefs steht schon parat und vertreibt ihn aus seinem Paradies. Hinausgeworfen in den Strudel des ungewohnten Alltagslebens einer amerikanischen Großstadt, knallt er mit dem Auto der attraktiven Unternehmergattin Eve (Samantha Viana) zusammen. Sie bringt den gut aussehenden Mann zu sich in ihre Villa, um ihn dort gesund zu pflegen. Ihr todkranker Ehemann (Stephan Korves), der in den höchsten Kreisen verkehrt, ist begeistert von dem Naturburschen mit den erfrischend einfachen Ansichten. Mr. Chance analysiert die Wirtschaftslage und die politischen Konstellationen einfach aufgrund seiner Erfahrungen des Wachsens und Vergehens in seinem Garten. Neben dieser schlichten Logik gehen den Aufsichtsräten, den Journalisten und selbst dem Präsidenten (Timo Klein) die Argumente aus. Zur ihrer aller Fehleinschätzung des Analphabeten Chance trägt entscheidend bei, dass er in der teuren abgelegten Marken-Kleidung seines Ex-Chefs auftritt.

Diese Parabel auf die sprichwörtliche Redewendung "Kleider machen Leute" hat die Regisseurin Marta Gil Polo als kurzweilige, stilisierte Komödie im Sprechwerk inszeniert. In der Hauptrolle glänzt Alexander Schröder. Seine reduzierte Gestik, seine betonte langsame Sprechweise, seine behutsamen Bewegungen und sein hintergründig wirkendes Lächeln lassen ihn als Mr. Chance, der seine Mitmenschen zu täuschen versteht, sehr überzeugend wirken. Hektisch in ihrer Betriebsamkeit, ihrem Wunsch nach Erfolg, Einfluss, Ruhm und Geld kreisen sie wie Pferdchen auf einem Karussell um das grüne Viereck, auf dem der in sich ruhende Mr. Chance sitzt. Alle sehen in ihm, was sie sich erträumen. Die Gattin sieht sich schon von dem geheimnisvollen Mann hemmungslos verführt. Ihr Ehemann will ihn dagegen schon bald in den höchsten Regierungs- und Unternehmerkreisen mitwirken lassen und die Medienwelt stürzt sich auf den Mann, der ungewohnt klar und schlicht seine Aussagen formuliert. Eine äußerst sehenswerte und überzeugende Arbeit im Sprechwerk.

Hamburg Theater, 22.09.2008

Gelungene Parabel auf wahre Lebenswerte

Den Film sollte man gleich vergessen. Peter Sellars war auf keine seiner Rollen so stolz wie auf "Mr. Chance" in Hal Ashbys Verfilmung von Jerzy Kosinskys Roman "Being There". Die katalanische Regisseurin Marta Gil Polo, ein Jahr zu Gast in Hamburg, will es in ihrem Projekt "Chance" mit dem Film erst gar nicht aufnehmen.

Sie und der Autor Albert Tola halten sich an den Roman, lassen sich für ihre Uraufführung am Sprechwerk aber noch von einem zweiten Kino-Opus inspirieren: Musik und barocke Garten-Geometrie erinnern an Peter Greenaways "Der Kontrakt des Zeichners". In der klaren Symbolik von Kreis und Quadrat spiegeln sich die Dynamik des Himmels und die irdische Existenz in statischer Perfektion.

Im grünen Viereck steht anfangs Mister Chance, der unbedarfte Gärtner, nackt bis auf einen Slip: ein strahlendes Riesenbaby. Alexander Schröder ist eine ideale, zugleich ganz eigene Besetzung. Ein naiver Naturbursche mit offenem Lächeln und listigem Augenblitzen. Er hält die Figur - ihr Name bedeutet Glück, Risiko oder Zufall - in der Schwebe zwischen Autist, Narr und Unschuldsengel.

Um das Zentrum Chance kreist die Inszenierung in Annette Haunschilds Bühnenraum. Eve Rand, die reiche Schickse, die den TV-fixierten Träumer überfährt und okkupiert, ihr todkranker Mann (Stephan Korves), Politiker und der Präsident der USA (Timo Klein) tanzen in hektischer Betriebsamkeit als überdrehte Karikaturen um Chance herum (Choreografie: Antje Pfundtner). Alle projizieren ihre Absichten und Wünsche auf Chance. Gelassen reagiert er mit Naturmetaphern und Vergleichen aus der Gärtnerei. "Wachstum hat seine Jahreszeiten: Solange die Wurzeln nicht verletzt sind, ist alles gut, und alles wird im Garten gut sein." Der Präsident ist platt: "Ein Menschenverstand wie Ihrer fehlt uns im Capitol."

Auch Eve findet zu Erkenntnis und zu sich selbst. Nach der Verführungsszene - ein komisches Kabinettstück von Samantha Viana - legt sie alles Falsche ab. Mit spielerischen Ideen gelingt eine ironisch leichtfüßige Parabel auf wahre Lebenswerte Chance spuckt auf den Gesellschaftszirkus und will seine Kirschen genießen.

Hamburger Abendblatt, 12.09.2008