Es ist eine Geschichte über verdrängte Wünsche und Sehnsüchte und eine tiefgreifende Sinnleere in einer hochkomplexen, aber an einen Endpunkt gelangten Mediengesellschaft. Ein Punkt, an dem das Bedürfnis nach einer messianischen Führerfigur entsteht.
„Being there“ ist die Geschichte eines Mannes, der sein Leben völlig abgeschirmt im Haus eines einflussreichen Industriellen verbracht hat. Außer dem Garten, den er immer sorgfältig gepflegt hat, kennt er nichts. Kaum je wurde mit ihm gesprochen. Alles, was er über die Welt „draußen“ weiß, weiß er aus dem Fernsehen. Als der Hausherr stirbt, muss Mr.Chance, wie er erst später genannt wird, zum ersten Mal hinaus in die Welt und gerät durch einen Autounfall in gehobene gesellschaftliche Kreise, wo er innerhalb kürzester Zeit eine erstaunliche Karriere macht. Ruhe, Ehrlichkeit, eine Gartenrhetorik, hinter der irrtümlicherweise eine große wirtschaftliche Kompetenz und Menschenkenntnis vermutet wird, machen den ahnungslosen Gärtner und TV-Konsumenten, der sein Arsenal an Wertvorstellungen und Verhaltensweisen einzig aus dem Fernsehen gelernt hat, über Nacht zum Medienstar und Präsidentschaftskandidaten.
Pressestimmen
Lebende
Projektionsfläche
Von Birgit Schmalmack
Wie die Natur ihn schuf, nur mit einer Unterhose bekleidet, steht Chance
da. Glücklich und zufrieden genießt er die stillen Freuden eines Gärtners. Noch
- denn der Nachlassverwalter seines verstorbenen Chefs steht schon parat und
vertreibt ihn aus seinem Paradies. Hinausgeworfen in den Strudel des
ungewohnten Alltagslebens einer amerikanischen Großstadt, knallt er mit dem
Auto der attraktiven Unternehmergattin Eve (Samantha Viana)
zusammen. Sie bringt den gut aussehenden Mann zu sich in ihre Villa, um ihn
dort gesund zu pflegen. Ihr todkranker Ehemann (Stephan
Korves), der in den höchsten
Kreisen verkehrt, ist begeistert von dem Naturburschen mit den erfrischend
einfachen Ansichten. Mr. Chance analysiert die Wirtschaftslage und die
politischen Konstellationen einfach aufgrund seiner Erfahrungen des Wachsens
und Vergehens in seinem Garten. Neben dieser schlichten Logik gehen den
Aufsichtsräten, den Journalisten und selbst dem Präsidenten (Timo Klein) die
Argumente aus. Zur ihrer aller Fehleinschätzung des Analphabeten Chance trägt
entscheidend bei, dass er in der teuren abgelegten Marken-Kleidung seines
Ex-Chefs auftritt.
Diese Parabel auf die
sprichwörtliche Redewendung "Kleider machen Leute" hat die
Regisseurin Marta Gil Polo als kurzweilige, stilisierte Komödie im Sprechwerk
inszeniert. In der Hauptrolle glänzt Alexander Schröder. Seine reduzierte
Gestik, seine betonte langsame Sprechweise, seine behutsamen Bewegungen und
sein hintergründig wirkendes Lächeln lassen ihn als Mr. Chance, der seine
Mitmenschen zu täuschen versteht, sehr überzeugend wirken. Hektisch in ihrer
Betriebsamkeit, ihrem Wunsch nach Erfolg, Einfluss, Ruhm und Geld kreisen sie
wie Pferdchen auf einem Karussell um das grüne Viereck, auf dem der in sich
ruhende Mr. Chance sitzt. Alle sehen in ihm, was sie sich erträumen. Die Gattin
sieht sich schon von dem geheimnisvollen Mann hemmungslos verführt. Ihr Ehemann
will ihn dagegen schon bald in den höchsten Regierungs- und Unternehmerkreisen
mitwirken lassen und die Medienwelt stürzt sich auf den Mann, der ungewohnt klar und schlicht seine Aussagen formuliert. Eine äußerst
sehenswerte und überzeugende Arbeit im Sprechwerk.
Hamburg Theater, 22.09.2008
Gelungene
Parabel auf wahre Lebenswerte
Den Film sollte man gleich vergessen. Peter Sellars
war auf keine seiner Rollen so stolz wie auf "Mr. Chance" in Hal Ashbys Verfilmung von Jerzy Kosinskys Roman "Being There". Die katalanische Regisseurin Marta Gil Polo,
ein Jahr zu Gast in Hamburg, will es in ihrem Projekt "Chance" mit
dem Film erst gar nicht aufnehmen.
Sie und der Autor Albert Tola halten sich an
den Roman, lassen sich für ihre Uraufführung am Sprechwerk aber noch von einem
zweiten Kino-Opus inspirieren: Musik und barocke Garten-Geometrie erinnern
an Peter Greenaways "Der Kontrakt des Zeichners". In der klaren
Symbolik von Kreis und Quadrat spiegeln sich die Dynamik des Himmels und die
irdische Existenz in statischer Perfektion.
Im grünen Viereck steht anfangs Mister Chance, der unbedarfte Gärtner,
nackt bis auf einen Slip: ein strahlendes Riesenbaby. Alexander Schröder ist eine
ideale, zugleich ganz eigene Besetzung. Ein naiver Naturbursche mit offenem
Lächeln und listigem Augenblitzen. Er hält die Figur - ihr Name bedeutet Glück,
Risiko oder Zufall - in der Schwebe zwischen Autist, Narr und Unschuldsengel.
Um das Zentrum Chance kreist die Inszenierung in
Annette
Haunschilds
Bühnenraum. Eve Rand, die reiche Schickse, die den TV-fixierten Träumer
überfährt und okkupiert, ihr todkranker Mann (Stephan
Korves), Politiker und der
Präsident der USA (Timo Klein) tanzen in hektischer Betriebsamkeit als
überdrehte Karikaturen um Chance herum (Choreografie: Antje Pfundtner).
Alle projizieren ihre Absichten und Wünsche auf Chance. Gelassen reagiert er
mit Naturmetaphern und Vergleichen aus der Gärtnerei. "Wachstum hat seine
Jahreszeiten: Solange die Wurzeln nicht verletzt sind, ist alles gut, und alles
wird im Garten gut sein." Der Präsident ist platt: "Ein
Menschenverstand wie Ihrer fehlt uns im Capitol."
Auch Eve findet zu Erkenntnis und zu sich selbst. Nach der
Verführungsszene - ein komisches Kabinettstück von Samantha Viana
- legt sie alles Falsche ab. Mit spielerischen Ideen gelingt eine ironisch
leichtfüßige Parabel auf wahre Lebenswerte Chance spuckt auf den
Gesellschaftszirkus und will seine Kirschen genießen.
Hamburger Abendblatt, 12.09.2008
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