Die EU-Verfassung lag lange auf Eis. Sie wurde geändert, ausgedünnt,
umbenannt - und 2009 als Vertrag von Lissabon endlich von allen
Mitgliedstaaten ratifiziert. Genützt hat es alles nichts, Europa tut sich
schwer mit der Einigkeit. Dies ist der Ausgangspunkt der Autorin Katja
Hensel, dem Thema einen neuen Theaterabend zu widmen: "Wie Europa gelingt.
Eine EU-Familienaufstellung".
Die Familienaufstellung ist ursprünglich ein therapeutisches Mittel und
wurde von Bert Hellinger ins Leben gerufen, in der Absicht, Regeln und
Hierarchien innerhalb einer Familie wieder herzustellen. Hier setzt das
Stück an: Die Europäische Union begibt sich als Familie zur Psychotherapie.
Denn in der Familie brodelt es gewaltig: Euro-Krise, Identitätsprobleme,
jede Menge unbewältigter Geschichte. Estland sucht noch seinen Platz in der
Familie, es fehlt dem Land an europäischem Geist und innerem Frieden mit
seiner Herkunftsfamilie Sowjetunion. Polen erinnert noch jede historische
Verwundung als wäre sie gestern gewesen. Aus Finnland bricht der Überdruss
an der eigenen, zur Kruste erstarrten Konsenshaltung heraus. Spanien kämpft
mit den selbst auferlegten Sparmaßnahmen ebenso wie mit der wenig
aufgearbeiteten Geschichte der Franco-Diktatur. Und Slowenien, das Land mit
der höchsten Selbstmordrate in der EU, ist auf einer dramatischen Talfahrt
vom Vorzeige-Mitglied zum Krisenkandidaten. Diese und weitere nationale
Befindlichkeiten und historische Wunden lähmen die Dynamik der EU-Familie.
Unter Leitung der Therapeutin Inge Hell werden die Probleme von zunächst
sieben EU-Mitgliedstaaten diskutiert und analysiert, in der Hoffnung der EU
neuen Schwung und Einigkeit zu verleihen. Wird es gelingen, die Familie vor
dem Auseinanderbrechen zu bewahren?
Das Thema "Europa" hat längst Einzug in die neue deutsche Dramatik gehalten.
Doch während die Komplikationen in erster Linie exemplarisch auf
Einzelschicksale herunter gebrochen werden oder in dokumentarischer Manier
Allgemeinplätze formulieren, ist die "EU-Familienaufstellung" der äußerst
seltene Versuch, beide Pole zusammen zu bringen.
Die Qualität der Autorin Hensel besteht im humorvollen Einsatz und Brechen
von Vorurteilen und Klischees: Indem sie typische Theatermittel, wie den
Entwurf und die Psychologisierung einer Figur, auf abstrakte Themen wie die
Europäische Union überträgt, entstehen beim Rezipienten Assoziationen und
Erkenntnisse, die weit über aufklärerische Berichte hinausgehen.
„Wie Europa
gelingt. Eine EU-Familienaufstellung“
ist die
Fortsetzung des gleichnamigen Pilotprojektes, das vor vier Jahren konzipiert
wurde und im Rahmen von dem Festival „Projektion Europa“ am Schauspielhaus
Hamburg, am Münchner Volkstheater, im Roten Rathaus Berlin und vielen
anderen Orten zu Gast war. In ihrer neuen, aktualisierten Fassung, rückt
die Autorin Hensel das drohende Zerbrechen der Familie in den Fokus.
Text/Regie:
Katja Hensel Großbritannien: Christian Kaiser Finnland:
Christian Dieterle Estland: Barbara Wurster Polen: Michael
Stobbe Slowenien: Sanne Schnapp Zypern: Sven Philipp
Spanien: Uta Krause Therapeutin: Katja Hensel Projektleitung:
Andrea Tietz – att
Eine
Produktion von Katja Hensel und Team. Gefördert durch die Hamburgische
Kulturstiftung und die Ilse und Dr. Horst Rusch-Stiftung. Mit freundlicher
Unterstützung der Europaabteilung der Freien und Hansestadt Bremen. |